Wahl Christof Kälin zum Wiler Parlamentspräsidenten
Ich merke gerade, wie sehr ich die Feste und auch euch Parlamentskolleg:innen vermisst habe! In der Tat, und nicht nur den linken Teil des Rates – wenn auch diesen überproportional. Nein, auch jene in der Mitte und rechts davon.
Eventuell fragt ihr euch wieso? Die Antwort liegt auf der Hand – weil es in einer Demokratie alle braucht. Oder zumindest alle, die demokratiefreundlich sind. Somit sind möglichst viele ein Teil der Ordnung unseres Landes.
Und bekanntlich hat zu viel Mitwirkung und Engagement noch keinem Land geschadet. Zu keiner Zeit ging es mit einem Land bergab, wenn der Bevölkerung mehr Rechte gegeben wurden. Weder, als die Demokratie der Diktatur vorgezogen wurde. Noch, als irgendwann auch die ärmeren Bevölkerungsschichten mitbestimmen konnten (ja, es gab eine Zeit, in der der Nachweis eines bestimmten Vermögens Grundvoraussetzung war, um mitbestimmen zu dürfen). Auch nicht, als in bestimmten Gebieten das Stimmrechtsalter auf 16 Jahren gesenkt, oder ein sogenanntes Ausländer:innen-Stimmrecht eingeführt wurde.
Das Ergebnis? Eben diese Menschen fühlten sich plötzlich ernst genommen, waren endlich ein vollwertiger Teil der Bevölkerung, und schlussendlich auch besser integriert.
Da stellt sich die Frage, was ‘Integriertsein’ bedeutet: Vieles. Zum Beispiel, dass man ein Teil von etwas Größerem ist. Ausserdem bedeutet es, sich endlich auf Augenhöhe zu begegnen. Es bedeutet, dass Meinungen ernst genommen werden – sowohl die eigene, als auch die des Gegenübers. Und zwar mit dem Ziel, gemeinsam zu einem Konsens zu gelangen (ganz nach dem Schweizerischen Vorbild). Es bedeutet auch, dass man gewisse Aussagen nicht mehr hinnehmen muss. Aussagen wie: «Geh’ dahin zurück, wo du herkommst!», «Was weisst du schon als Muslimin, Schwuler, Transsexuelle, Jugo etc.?», oder «Bei UNS in Wil, St. Gallen, Schweiz, Europa… macht man das so.». Nein, stattdessen bestehen wahrhaftig integrierte Personen darauf zu erwähnen, dass auch sie zu dem erwähnten «uns» gehören – und dementsprechend auch mitbestimmen können, wie es denn bei «uns» so gemacht oder nicht gemacht wird.
Dieser neue Sachverhalt kann zu Konflikten und neuen Aushandlungen führen. Das bedeutet auch, dass manche ihre Stellung in der 1. Klasse verlieren werden, weil ein Anspruch auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in Frage gestellt beziehungsweise nicht mehr akzeptiert wird. Es bedeutet, dass die neuen Mitglieder des neuen «uns» sich mit der gesamten Materie befassen müssen. Das war schon immer so, einzig die Akteur:innen haben sich geändert.
Diese Konflikte mögen für Einzelfälle schwierig sein (für beide Seiten gleichermassen), sie sind aber enorm förderlich für eine offene Gesellschaft und führen zur inklusiven Bevölkerung. Hierzu gibt es mittlerweile zahlreiche interessante Studien. Den Interessierten empfehle ich z.B. das Buch von Aladin El-Mafaalani, welcher viele Studien zusammengefasst hat, und welches ich als Geschenk bekommen habe.
Wie sagte der griechische Philosoph und Staatsmann Perikles: Ein Bürger, der sich nicht um die Belange seiner Stadt bemüht, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger. Aber, damit man aktiv werden kann, braucht es zuerst die entsprechenden Möglichkeiten dazu. Sei es in Form eines Ausländer»:innen-Stimmrechts als Zwischenlösung, oder in Form einer Förderung der Erlangung des vollwertigen Bürgerrechts als langfristige Lösung.
Die Stadt Wil hat in den letzten Jahren einige Fortschritte in Richtung Inklusion gemacht: Wir haben ein Partizipationsreglement sowie die Möglichkeiten eines Jugendparlaments geschaffen. Wir haben ein Quartierbüro im Lindenhof, und unterstützten Initiativen wie FAIR Wil oder das Pfadiheim. Wir sind auf dem richtigen Weg – und trotzdem noch so weit entfernt von der vollständigen Inklusion.
Es gibt beispielsweise immer noch zu wenig Vielfalt bei wichtigen Posten – sei es in der Verwaltung, der Legislative, Executive und Judikative. Die wichtigsten Posten dieses Landes auf nationaler, kantonaler oder kommunaler Ebene entsprechen nicht dem Gesellschaftsbild.
Und doch gibt es Ausnahmen: Etwa in der Wirtschaft, oder aber im Sport und in der Musikszene. Vor Kurzem gewann die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft zum ersten Mal ein KO Spiel im Rahmen der EM. Wenig später holte Gjon’s Tears für die Schweiz den dritten Platz im ESC (gemäss Jury Platz 1). Ausserdem konnten wir auf Schweizer Sportler:innen wie Mujinga Kambunji und Belinda Bencic bei den Olympischen Spielen mehr als stolz sein.
Das wäre nicht möglich gewesen, wären sie ausgegrenzt worden. Es war nur möglich, weil ihnen dieselbe Chance gegeben wurde wie allen anderen.
Damit wir also zu einem Weltklasse-Team werden wie die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft oder das Olympia-Team, braucht es mehr und nicht weniger Mitbestimmung! Es braucht mehr und eine niederschwelligere Demokratie. Dafür braucht es uns alle, damit wir gute Konzepte entwickeln und umsetzen, die die Zukunft unseres Landes bestimmen.
Seit Jahrzehnten lebt unser heutiger Hauptprotagonist uns eben diese Attitüde vor. Und ich bin durchaus in der Lage, das zu beurteilen. Ich weiss schliesslich, dass er sich in der Oberstufe für alle Schüler:innen gleichermassen einsetzte. Ich war vor einigen Jahrzehnten nämlich selbst einer von ihnen. Kurz zusammengefasst würde ich sagen: Wir brauchen mehr Christofs in Wil oder zumindest mehr Bürger, die wie Christof denken. Das wissen auch die meisten Parlamentarier:innen hier, weswegen ihr ihn auch zum Präsidenten gewählt habt. Und das wissen unsere Gäste, denn deswegen sind sie ja heute hier. Deshalb bin auch ich hier.
Herzliche Gratulation lieber Christof und viel Vergnügen in deinen verbleibenden Monaten als höchster Wiler.
Danke für die Einladung sowie die Möglichkeit, ein paar Worte zu meinem Lieblingsthema ‘Demokratie’ zu sagen.